Seit inzwischen über einem Jahr wütet Corona und hat das Leben aller verändert. Schutzmaßnahmen und neue Vorschriften regieren den Alltag und polarisieren – Demonstrationen von „Querdenker*innen“, Impfgegner*innen sowie Rechten standen zeitweise an der Tagesordnung. Die Nachrichten sind voll von allem was mit COVID-19 zu tun hat, laufen gerade zu über.
Doch wovon man kaum etwas hört, ist der Keil, den es zwischen die Menschen treibt. Nicht auf gesellschaftlicher, sondern auf zwischenmenschlicher Ebene, im Privaten. Wie geht es den Menschen, die „Querdenker*innen“ in der Familie oder im Freundeskreis haben? Was tut man, wenn man sich mit einer geliebten Person kaum noch unterhalten kann, weil es für sie nur noch dieses eine Thema gibt?

Ich habe mir diese Fragen oft gestellt, denn egal, wie gut man darin sein mag konstruktive Diskussionen zu führen, man spricht gegen eine Wand. Eine Wand, die Stein für Stein hochgezogen wurde durch „alternative Informationen und Medien“, Verschwörungstheorien, Misstrauen und Angst. Sie steht fest und lässt nicht an sich rütteln, nicht einmal am Mörtel lässt sich kratzen. Das Resultat? Menschen entfremden sich, fühlen sich auf beiden Seiten unverstanden und ziehen sich zurück, hin zu denen, die sie zu verstehen scheinen.

Michael, dessen Namen auf seinen Wunsch hin geändert wurde, hat genau das erlebt – nun möchte er darüber sprechen. Wir verabreden uns also zu einem Video-Call. Als der Tag des Interviews gekommen ist, sitzt mir auf meinem Bildschirm ein junger Mann mit sympathischem Lächeln gegenüber. Er ist Medizinstudent und arbeitete auf der Corona-Intensivstation.

COVID-19 hat Michael seine beste Freundin genommen. Sie ist nicht an dem Virus erkrankt, doch sie hält ihn für einen Vorwand, Teil einer größeren Verschwörung, die wir „normale Bürger*innen“ nicht zu erkennen scheinen. Vor einigen Jahren lernte er Nadine, deren Namen ebenfalls geändert wurde, über die App Jodel kennen und merkte schnell, dass sie viel gemeinsam haben. Sie verbrachten immer mehr Zeit zusammen und waren für einander da, egal was war. Bedrückte ihn etwas konnte Michael immer auf Nadine zählen und umgekehrt. Lange Spaziergänge und noch längere, gemeinsame Nächte schweißten die beiden zusammen. Er fühlte sich von ihr verstanden und sie sich von ihm. Er erinnert sich: „Sie und ich – Seite an Seite, gegen die Welt.“ Das hatte er sich damals gedacht. Dann beendete er die Freundschaft. Doch warum?

Ihre Antwort auf alles war Hass.“

Michael erzählt mir, dass die beiden sich auch zuvor nicht bei allem ganz einig waren. Ihre Einstellung sei schon immer eher konservativ gewesen, während er sich selbst im linken politischen Spektrum positioniere. Außerdem sei ihr Blick auf die Welt generell negativ gewesen. „Ihre Antwort auf alles war Hass“, erklärt Michael. Wenn etwas nicht so lief, wie sie es wollte, habe sich das schnell in aggressiven Aussagen bemerkbar gemacht. Dadurch kam es zwar immer mal wieder zu kleineren Diskussionen – an der Freundschaft rüttelten diese allerdings nie. Zu Beginn der Pandemie seien die beiden auch noch einer Meinung gewesen, vor allem da Michael zu diesem Zeitpunkt gerade Mikrobiologie und Virologie im Studium behandelte. Das was er dort lernte deckte sich mit den Informationen über COVID-19, die in den Medien verbreitet wurden. Sein Fachwissen konnte Nadine anfangs also noch überzeugen, doch wann kam der Wendepunkt? Und wieso?

Was genau passiert ist weiß Michael auch nicht, doch er erzählt mir, dass Nadine beinahe den gesamten Sommer bei ihrer Familie verbracht und sich in dieser Zeit schon beim Schreiben auf WhatsApp eine Veränderung bemerkbar gemacht habe. Immer häufiger bekam er „Querdenker“- Memes zugesendet oder wurde von ihren fragwürdigen Ansichten zum US-Wahlkampf überrumpelt. Irgendwann begann sie ihm zu erklären, dass es sich bei Corona bloß um eine Grippe handele und man sich eigentlich keine Sorgen machen müsse. Immer, wenn das Thema aufkam, suchte er das Gespräch und versuchte ihre Zweifel und Fehlinformationen aus dem Weg zu räumen und sie aufzuklären. Erfolglos. Michael beschreibt diese Situation als besonders enttäuschend und traurig, hielt aber weiter an ihr fest. „Meine Realität sieht einfach anders aus als ihre. Deswegen komme ich zu einem anderen Schluss als sie und konnte verstehen, dass sie mehr Bedenken hat und es für sie mehr Überzeugungsarbeit braucht.“

Deutlich beunruhigter wurde er allerdings, als sie ihm eröffnete, dass sie an die Existenz einer Weltverschwörung mit Pädophilenring glaube und Fan der „Q-Anon“ Bewegung sei. Doch es war egal, wie viele Argumente Michael gegen diese Thesen brachte, sie ließ sich nicht von ihren Überzeugungen abbringen.

Auf Kuschelkurs mit Rechten

Der einst tägliche Kontakt begann in Folge dessen zu bröckeln an. Michael hatte das Gefühl mit vielen seiner Probleme nicht mehr zu ihr kommen zu können. Im Dezember und Januar 2020/21 arbeitete er auf der Intensivstation für Coronapatient*innen – ein Job der ihm Vieles abverlangte. „Wenn ich Dienst hatte ist immer mindestens eine Person gestorben. Ich bin das natürlich nicht gewohnt. Mir geht das nah. Du bist da in der Klinik und lernst diese Leute kennen, siehst, wie schlecht es ihnen geht und wie menschenunwürdig sie sterben. In den letzten Stunden ihres Lebens ringen sie bloß noch um Luft und haben unglaubliche Angst. Ich kann das einfach nicht verkraften.“ Dass man darüber gerne mit einer vertrauten Person sprechen möchte ist selbstverständlich. Doch Michael musste sich eingestehen, dass seine beste Freundin nicht die Richtige dafür war: „Ich wusste, dass ich in dem Moment, in dem ich zu Nadine kommen würde, nur mit Verharmlosungen konfrontiert werden würde. Ich konnte diese Dinge nicht ansprechen.“

Als er dann durch Zufall entdeckte, dass Nadine in radikalen und problematischen Telegram-Gruppen aktiv war, beendete er vorerst den Kontakt. Sie hätte zwar bloß vergleichsweise harmlose Memes in den Chats geteilt, doch die Tatsache, dass in diesen Gruppen ansonsten rechtsradikale, antisemitische und hasserfüllte Inhalte verbreitet wurden, zeigte ihm, dass er für sich Grenzen ziehen musste. „Du teilst vielleicht die Meinung dieser Menschen nicht, aber du setzt dich mit ihnen an einen Tisch. Das ist für mich einfach ein No-Go. Wenn du mit denen kuschelst, will ich mit dir nichts zu tun haben.“

Für eine Weile herrschte also Funkstille zwischen den beiden, bis sich Michael in einer Story auf Snapchat gegen Rechtsextremismus aussprach. Nadine erklärte ihm daraufhin, dass man lieber etwas gegen Linksextremismus unternehmen solle, da das das größere Problem sei. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Er konnte diese Ansichten schlicht nicht weiter tolerieren: „Ich musste diesen Schritt einfach gehen, auch für mein eigenes Seelenwohl.“

Er konfrontierte sie also: Zeigte ihr die Screenshots von ihrer Aktivität in den Gruppen und schrieb eine lange Nachricht, in welcher er seinen Gedanken Platz verschaffte, die er so lange unterdrückt hatte. Er machte ihr klar, wieso er die Freundschaft zu ihr nicht länger halten konnte. Ihr Antwort darauf, kam für Michael allerdings völlig unerwartet: „Ihre Reaktion war erschreckend. Sie hat nichts davon abgestritten, sondern mir vorgeworfen sie zu stalken und zu verraten. Wenn mir jemand so etwas vorwerfen würde, dann würde ich die Person doch vom Gegenteil überzeugen wollen.“ Auch, wenn er sich mit seiner Entscheidung, diesen Schlussstrich zu ziehen, sicher war, waren seine Gefühle sehr gemischt. Zum einen war da natürlich Trauer, da er wusste: „Damit verliere ich meine beste Freundin.“ Zum anderen war er aber auch wütend, da er nicht nachvollziehen konnte, wie sich jemand so radikalisieren kann. Auf der anderen Seite war da jedoch auch etwas positives, da er wusste, dass er sich selbst treu blieb: „Das war auf eine seltsame Art und Weise, auch wenn es schwer fällt, ein gutes Gefühl. Mir ist es wichtig authentisch zu bleiben und das wäre ich einfach nicht, hätte ich nichts gesagt.“

Offene Türen

Sich von Nadine zu distanzieren und die Freundschaft schließlich ganz zu beenden war für Michael keinesfalls einfach, doch bei seinen anderen Freund*innen fand er Halt. Er sprach mit ihnen über die Situation und wurde darin bestärkt das Richtige getan zu haben. Trotzdem lasse er Nadine immer eine Tür offen, falls sie etwas brauchen sollte oder einfach reden möchte. Sie sei kein böser Mensch und habe es deswegen verdient, dass man ihr noch eine Chance gibt, falls sich die Lage wieder entspannen sollte. Doch nicht allein die Hoffnung auf Versöhnung steht für Michael im Mittelpunkt. Er rät anderen, die sich in ähnlichen Situationen befinden, vor allem zu Verständnis: „Alles hat seine Gründe. Auch, wenn man Meinungsverschiedenheiten hat, sollte man versuchen den Mensch dahinter zu sehen und Verständnis dafür zu haben, dass das gerade eine extrem schwierige Phase ist. Es ist wichtig Leuten verzeihen zu können für Dinge, die sie tun, wenn es ihnen nicht gut geht.“ Rückblickend betont Michael, dass es zwar wichtig sei den Versuch zu wagen zu verstehen, man aber auch für sich selbst Grenzen setzen müsse.

Debora Herold