Studentenapp Jodel – Next-Level-Vernetzung oder Automat für reaktionäre Ideologien?
Von einigen gefeiert, von anderen schulterzuckend wahrgenommen – so ziemlich alle Studierenden kennen die App Jodel, die 2014 in Aachen ins Leben gerufen wurde. Man kann vollkommen anonym alles posten, was einem gerade in den Sinn kommt: wie langweilig die aktuelle Vorlesung ist, ein Bild vom eigenen Hund und manchmal auch einen guten Witz. Warum ist Jodel jedoch so reizvoll? Was trägt die App zur Bereicherung des Alltags bei und inwieweit ist sie womöglich problematisch?

Ich persönlich habe Jodel im Jahr 2015 das erste Mal genutzt und war direkt angefixt: ich konnte schreiben, was ich wollte, ohne, dass jemand wusste, dass ich dahinterstecke. Das Konzept funktioniert, immerhin zählte die App laut rp-online 2018 über eine Million Nutzer in Deutschland. Verschiedene Subkanäle sorgen dafür, dass man sich intensiver über Dinge unterhalten kann, die nicht für jeden interessant sind. So habe ich unter anderem Unterhaltungen über Drogenkonsum (@druffkultur), Datingerlebnisse (@dating) und politische Weltanschauungen mitverfolgen können. Die Leute trauen sich in diesem geschützten Raum über Dinge zu sprechen, die im Alltag häufig tabu sind.

Mittlerweile ist Jodel, neben Deutschland, Österreich und der Schweiz vor allem in Skandinavien und Finnland, sowie Saudi-Arabien vertreten wie das Jodel Media Kit belegt. Doch auch, wenn alle dieselbe Sprache sprechen, sind Missverständnisse und Streitereien vorprogrammiert: Philipp (24), Medizinstudent, erzählt mir, dass es vermehrt „Ressentiments gegen Ausländer und weltoffenere, grüne Ideologien“ gebe. Regelmäßig brechen bei solchen Themen hitzige Diskussionen aus, womit Jodelnutzer den Nutzern anderer Social Media Plattformen in nichts nachstehen. Weiterhin tummelten sich seiner Ansicht nach auch viele Trolls auf Jodel – eine Beobachtung, die ich leider teile. So ist ein Spruch wie „Heimatliebe statt Grabscher und Diebe“ nur eines von vielen Beispielen, in denen auch rechtsextreme Rhetorik angewandt werde. Den Betreibern der App ist jedoch zugute zu halten, dass sie sich tatsächlich für die Einhaltung ihrer Richtlinien einsetzen. Es gibt Moderatoren, welche sich die gemeldeten Fälle ansehen und sich entweder für ein Entfernen oder Beibehalten des Posts oder Kommentars aussprechen. So wurde in einem Fall der von mir gemeldete Kommentar „Björn Höcke wird uns alle retten“ (frei zitiert) aufgrund der offenkundig rechten Tendenzen innerhalb kürzester Zeit entfernt. Obwohl es absolut angebracht ist, dass solche Aussagen direkt gebannt werden, ist dennoch zu bemerken, dass in diesem Falle die Verantwortung für das erste beim Nutzer liegt. Hätte also niemand diesen Post gemeldet, würde dieser weiter in der App vor sich hin geistern. In diesem Falle wäre es sinnvoll, wenn Moderatoren schneller eingreifen könnten, da schließlich auch von Seiten Jodels aktiv dafür gesorgt werden sollte, einen verbal gewaltfreien Raum zu schaffen.
Obwohl man als „Jodler“ theoretisch anonym ist und andere Nutzer den eigenen Standort nicht kennen, so gilt das jedoch nicht gegenüber den Betreibern der App. Als in Trier 2017 ein Student einen Amoklauf in der Universität für den darauffolgenden Tag ankündigte, wurde diese Nachricht der Polizei von mehreren Studierenden gemeldet. Daraufhin konnte aufgrund effektiver Zusammenarbeit zwischen App-Betreibern und Polizei sowohl Standort als auch Account des Tatverdächtigen ermittelt und die Umsetzung der Drohung verhindert werden.

Dass Studierende auf Jodel einen Ort finden, um sich mit anderen auszutauschen und Ängste zu thematisieren, ist erfreulich und in jedem Fall unterstützenswert. Die Bemühungen seitens der Betreiber, in der App für einen freundlichen Umgang zwischen den Nutzern zu sorgen, indem sie Maßnahmen wie die Kontrolle durch Moderatoren implementieren sind unbestreitbar. Der Umgang auf Jodel untereinander ist jedoch immer häufiger ein Beispiel dessen, wie manche Menschen sich verhalten, wenn man sie nicht ganz so leicht zur Rechenschaft ziehen kann. Man sollte schließlich nie vergessen, dass immer noch ein Mensch hinter seinem Handy sitzt – selbst wenn man ihn weder sehen noch anderweitig identifizieren kann.
- Zwischen Tagebuch und Troll-Paradies - 31. März 2020