„Ja, hi“ – sagt Neubauer und klatscht in die Hände. Damit beginnt sie ihren Vortrag in der coronabedingt fast leeren Aula. Bereits die ersten Worte weisen auf den Kontrast zu ihrem Vorredner Prof. Dr. Leggewie hin, der am 25.10.21 in nüchterner Sachlichkeit über die politikwissenschaftlichen Herausforderungen des Klimawandels referierte. Sie wolle – sozusagen als Geologin in Ausbildung – nicht über die neue Wirtschaftsform sprechen, sondern über die Notwendigkeit eben jener und über den Weg dorthin.

Klima-Kipppunkte voraus!

Dass wir eine neue Wirtschaftsform brauchen, stehe für sie außer Frage: Wir befänden uns auf einem Pfad, den viele Wissenschaftler als das Worst-Case-Szenario bezeichneten. Ungebremst steuerten wir auf sogenannte Kipppunkte zu, bei denen „Erdsysteme umschlagen“ und „selbstverstärkende Dynamiken“ einträten. Diese Entwicklungen, wie beispielsweise das Abschmelzen von Gletschern und das Steigen des Meeresspiegels, seien unumkehrbar. Die Regierungen müssten etwas tun. „Es ist kein Wunder“, schimpft sie, „dass Dreiviertel der jungen Menschen weltweit sich von der Politik betrogen fühlten – zurecht!“ Der Klimawandel sei kein Naturgesetz, sondern politische Entscheidung und direkte Konsequenz unseres Wirtschaftens.

Auch der jüngsten Klimakonferenz in Glasgow, der sie persönlich beigewohnt hat, stellt sie ein bestenfalls durchwachsenes Zeugnis aus, denn: In einer eskalierenden Klimakrise sei ein Fortschritt ein Rückschritt, wenn er nicht ein „wirklich, wirklich großer, nie dagewesener“ Schritt sei.

Klimawandel als Krise verstehen

Ein großes Problem, vor allem auch in unserer Medienlandschaft, sieht Neubauer in der öffentlichen Wahrnehmung des Klimawandels. Normalerweise seien wir politisch schnell dazu bereit, Krisen auszurufen: Niemand spräche von einem Geflüchteten-Problem oder einer Euro-Herausforderung. Es sei auch in Teilen ein Lobbyerfolg, dass man die größte aller Krisen nicht als solche benenne.

Warum gebe es in unseren Medien kaum Klima Chefredakteure? Warum gebe es kaum Studiengänge für Klimajournalismus? Warum gebe es keine Klimajournalismus Schulen? Wo bleibe da die Verhältnismäßigkeit, wo doch jeder Sportjournalist entsprechende Möglichkeiten habe? Neubauer beklagt, dass Redaktionen, die sich dieser Kritik stellen und entsprechende Maßnahmen ergreifen, bislang lediglich Ausnahmen seien. Nach 40 Jahren Klimakrisenbeschleunigung könne das so nicht weitergehen.

Anleitung zum Wandel

Das Wissen über neue Wirtschaftsformen, so behauptet sie, sei bereits da, man müsse sich nur daran bedienen. Normalerweise gelte: Wissen ist Macht. In der Klimakrise hingegen sei „Wissen ohne Handlungsanleitung zwangsläufig irgendwann Ohnmacht“.

Die Zeit für einen linearen Wandel sei vorbei, man müsse schnell und radikal sein; auf sogenannte „soziale Kipppunkte“ hinarbeiten. Darunter versteht sie Momente, in denen die Gesellschaft bereit ist, große Veränderungen zu akzeptieren. Als Beispiel hierfür nennt sie die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung. Dafür brauche es aber Menschen, die sich innerhalb der Institutionen gegen den Klimawandel engagieren. Fünf Akteure spielten dabei eine Rolle: Industrie, Politik, Gerichte, Finanzwelt und die Unternehmen. Sie alle seien gefragt als Teile eines Ökosystems des Wandels und könnten – getrieben von dem sechsten Akteur „der Gesellschaft“ – sogar gewaltigen Wandel binnen kürzester Zeit ermöglichen.

Foto: JLU / Katrina Friese
Luisa Neubauer bei der anschließenden Diskussion.

Wir sehen uns auf der Straße“

Gäbe es den Klimawandel nicht, wäre Neubauer vermutlich Motivationscoach. Sie sagt Sätze wie: „Die Klimakrise liegt nicht nur auf unseren Schultern, sondern auch in unseren Händen.“ Dabei hält sie sich nicht mit störenden Etiketten auf, sondern duzt das Publikum und fragt: „Wo seid Ihr in diesen kritischen Monaten, diesen kritischen Jahren, in denen wir unwahrscheinlichen Wandel organisieren können?“ Und weiter: „Ich hoffe, wir sehen uns auf der Straße, wir sehen uns überall dort, wo Öffentlichkeit zusammen kommt“.

Die Straße ist der Ort, an dem „fridays for futures“ groß geworden ist: Mit bunt bemalten Schildern und markigen Parolen rebellierten sie gegen die Verursacher der Klimakrise und gegen die Teilnahmslosigkeit der Gesellschaft. Der Straße ist die Bewegung treu geblieben. Dennoch fällt auf, dass es nicht mehr um die Klimakrise alleine geht: So kommen aus der Bewegung zunehmend Forderungen nach weniger Kapitalismus und weniger Ungleichheit auf. Mittlerweile gibt es innerhalb der Bewegung eine antikapitalistische Plattform namens „Rebell“, auf welcher die Bekämpfung des Klimawandels mit Forderungen nach einem grundsätzlichen Systemwandel verbunden werden.

Noch haben wir die Wahl“

Kritik kommt während ihres Vortrages und der anschließenden Diskussion nicht zur Sprache: Es ist der Abend der großen Bilder, nicht der kritischen Fragen. Neubauer gestikuliert wild und spricht über Dürren, über jetzt schon mehrere zehntausende Hitzetote in Deutschland, über die soziale Spaltung weltweit, über schwindenden Lebensraum, über Artensterben, über den Fortbestand der Gattung Mensch.

Dennoch ist ihr Fazit erstaunlich positiv: Noch hätten wir die Wahl. Es mache ihr Mut, wie sich Klimaproteste weltweit organisierten, um der Politik Druck zu machen. Dabei könnten sie nicht die perfekten Lösungen anbieten, sondern lediglich auf bestehende Forschung verweisen und notwendigste Reformen einfordern.

Wir müssen es auch besser machen“

Immer wieder an diesem Abend betont Neubauer, dass es nicht reiche, den richtigen Weg zu wissen – man müsse die Menschen auch aufklären. In der Wissenschaft gebe es bereits einen Konsens über viele Streitfragen, über die die Gesellschaft noch immer diskutiere: Fossile Energieträger lohnten sich nicht mehr, der Klimawandel werde ohne ökologische Transformation am teuersten.

Dabei sei es sehr wohl möglich, eine gerechtere Welt und gerechteres Wirtschaften zu organisieren. Sie schließt mit den Worten: „Aber das Ganze fällt nicht vom Himmel und es passiert nicht nur, weil wir wissen, dass es besser sein könnte: Wir müssen es auch besser machen.“

Jonas Vögtlin

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