In unserem Studium stehen wir manchmal vor großen Herausforderungen: Wie gehe ich mit Prüfungsstress um? Wie lerne ich in einer neuen Stadt Leute kennen? Was passiert nach der Zeit an der JLU? Oder es sind private Probleme, die uns beschäftigen. Wem das alles zu viel wird, kann sich an die Beratungsstelle der JLU wenden. Wie ihr dort einen Termin macht, mit welchen Problemen ihr euch an die Therapeut:innen wenden könnt und wie ihr einen Therapieplatz findet, erfahrt ihr in diesem Interview mit Dr. Stefanie Simanowski, eine der Beraterinnen der Psychologischen Beratungsstelle (PBS).
Kurz vorweg: Die PBS gibt es erst seit März 2022. Sie wurde eingeführt, um bereits bestehende Angebote verschiedener Fachbereiche zusammenzubringen und zu vereinheitlichen. Beispielsweise gibt es bereits Angebote des Fachbereichs Medizin, die Stressberatung des AStA oder verschiedene Projekte des Fachbereichs Psychologie, wie die Peer-to-Peer Beratung. Die PBS soll dabei ein zentraler Ansprechpartner sein, an den sich alle wenden können. Die anderen Projekte laufen zwar teilweise weiter, können nun aber durch eine bessere Koordination mit der PBS von mehreren Seiten beworben werden. Die Beratung ist für Studierende kostenlos.
„Wie ein Puzzle, das durcheinandergeraten ist“
Universum: Wer kann sich beraten lassen und wer berät? Das heißt, wie groß ist Ihr Team?
Stefanie Simanowski: Es können sich alle, die an der JLU eingeschrieben sind, an uns wenden. Die regulären Studierenden, wie auch die Promotionsstudierenden. Wir sind drei Psychologen und Psychologinnen mit jeweils einer halben Stelle.
Universum: Wie intensiv wird Ihr Angebot wahrgenommen? Sie haben im Vorgespräch bereits erwähnt, dass Sie relativ ausgelastet sind.
Stefanie Simanowski: In der Regel haben wir Wartezeiten von drei, vier manchmal fünf Wochen, weil wir vollständig ausgebucht sind. Jeder von uns Beratern hat aber ein paar Notfallstunden, die wir vergeben können, wenn es mal eng ist.
Insgesamt habe ich 14 Stunden bei Ilias und zusätzlich noch einige Randstunden, die ich vergeben kann, wenn etwas Dringendes ist oder wenn ein weiteres Gespräch sinnvoll wäre.
Universum: Das stelle ich mir ganz schön anstrengend vor.
Stefanie Simanowski: Ach, das macht sehr viel Spaß. Die Zeit vergeht für mich immer wie im Flug (lacht). Wenn jemand zum ersten Mal kommt, dann ist das wie ein Puzzle, das durcheinandergeraten ist. Dann findet man nach und nach wieder Teile, die zusammenpassen und hat hoffentlich nach einer Weile ein Bild, auf dem man auf einmal etwas sehen kann. Ich erfahre wirklich viel über meine Gegenüber. Viele spannende Lebensgeschichten oder unterschiedliche Arten auf das Leben zu schauen. Das ist auch für mich total bereichernd und immer wieder etwas Neues. Es ist nie langweilig.
Universum: Würden Sie sich dann wünschen, dass die PBS weiter ausgebaut wird?
Stefanie Simanowski: Also auf jeden Fall sollte das Programm verstetigt werden. Im Moment gibt es einen Projektzeitraum, der jetzt bis 2024 geht und davor wird eine neue Diskussion erfolgen, ob es möglich ist, die PBS weiter zu finanzieren. Was natürlich, wie Sie sich vorstellen können, für uns und die Studierenden hier ein ernstes Anliegen ist.
Universum: Stand jetzt: Sieht es eher positiv aus?
Stefanie Simanowski: Das kann man im Moment noch nicht ganz sagen. Deshalb ist es auch besonders wichtig, dass wir die Beratung wissenschaftlich evaluieren, um zu zeigen, dass wir Erfolg damit haben.
Im Moment funktioniert es gut. Wir können den Bedarf ungefähr abdecken, aber die Nachfrage ist sehr groß. Ich überlege schon was wäre, wenn es uns nicht gäbe. Dann würden einige Studierende ins Leere laufen, weil das die ursprünglichen Angebote nicht aufrechterhalten können. Im März hat das Projekt begonnen. Bis jetzt waren 280 Studierende hier und von denen sind einige auch mehrfach gekommen.
Universum: Das ist ja schon eine ganze Menge. Mit welchen Sorgen und Problemen kommen die Studierenden denn zu Ihnen?
Stefanie Simanowski: Es ist sehr unterschiedlich. Es gibt die Studierenden, die mit unibezogenen Sorgen zu uns kommen. Also die viel vor sich herschieben, viele Ängste haben und deshalb nicht zu Prüfungen gehen, keine Vorträge halten können oder denen die große Gruppe an Menschen zu viel ist. Es gibt aber auch viel häufiger private Schwierigkeiten. Also, wie gestalte ich die Beziehung zu meinem Partner, zu meinen Mitbewohnern, zu meinen Eltern. Oder die Zeit, wenn das Studium zu Ende geht und die Frage kommt, und danach? Dann ist die Rolle „ich bin Student“ auf einmal auch vorbei und es kommt etwas, das ich nicht kenne. Das macht viele unsicher. Es sind einige da, die Somatisierungsschwierigkeiten haben, das heißt, die körperlich auf Stress reagieren, mit Bauchschmerzen, Migräne, oder die ein schwieriges Essverhalten entwickelt haben. Es sind zum Teil Studierende da, die eine Suchtproblematik haben – also Substanzen oder Onlinespiele konsumieren. Menschen, die ein traumatisches Ereignis erlebt haben oder etwas sehr Schwieriges, wie plötzlich ein Elternteil zu verlieren. Die Problematiken sind breit gefächert.
Universum: Das heißt, die Probleme müssen auch überhaupt nichts mit der Uni zu tun haben? Man kann mit allem zu Ihnen kommen?
Stefanie Simanowski: Genau, und wir hoffen, wir können bei allem weiterhelfen. Wenn nicht, dann verweisen wir an die richtigen Stellen.
Universum: Das wäre jetzt auch direkt die nächste Frage gewesen. Was wäre nach der Beratung der nächste Schritt? Kann man öfter zu Ihnen kommen oder wird dann meistens eine Therapie empfohlen?
Stefanie Simanowski: Ungefähr die Hälfte der Studierenden kommt einmal hierher. Danach geht es ihnen besser. Sie haben ein bisschen neuen Input und sind ihre Sorgen losgeworden. Die anderen 50 % kommen häufiger her. Fünf, sechs, sieben Mal kann man unser Angebot ungefähr wahrnehmen. Damit könnte man beispielsweise die Zeit bis zu einer Psychotherapie ein wenig überbrücken. Dazu raten wir immer wieder, weil es für viele Schwierigkeiten einfach sinnvoll ist, wenn man regelmäßig jede Woche mit jemandem sprechen und ein Thema bearbeiten kann, um nachhaltig eine Veränderung erreichen zu können.
Universum: Ich habe schon gehört, dass es sehr lange dauern kann, bis man einen Therapieplatz gefunden hat. Wie lang ist da die durchschnittliche Wartezeit?
Stefanie Simanowski: Nicht ganz einfach zu sagen. Die Wartezeiten sind im Schnitt schon lang mit bis zu sechs Monaten, aber es variiert noch einmal sehr, ob jemand es durchhält, diesen frustrierenden Prozess von immer wieder anrufen, auf einer Warteliste sein, nach zwei Monaten wieder anrufen müssen, durchhalten kann und nicht den Mut verliert. Manchmal habe ich Studierende, die sehr hartnäckig gewesen sind und die tatsächlich innerhalb von drei Monaten jemanden gefunden hatten.
Universum: Für Studierende, die sich Sorgen um das Finanzielle bei einer Therapie machen: Wird das in der Regel vollständig von Krankenkassen übernommen?
Stefanie Simanowski: Ja, genau. Sobald eine behandlungsbedürftige Erkrankung vorhanden ist. Dann bezahlt die Krankenkasse die Psychotherapien, weil das die adäquate Behandlung ist, um wieder gesund zu werden.
Unsere Stunden hier sind kostenlos. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir unsere Beratung nicht weitergeben oder auflisten. Das heißt, es kann nicht zum Nachteil werden, bei uns gewesen zu sein, weil wir auch Studienfächer an der JLU haben, bei denen es später um eine Verbeamtung geht oder Leute, die sich selbstständig machen und später Versicherungen wie eine Lebensversicherung brauchen, wo es manchmal leider ein Nachteil ist, wenn eine psychische Erkrankung festgestellt wurde.
Die PBS ist allerdings ein beratendes Angebot. Das heißt, wir werden nie eine Therapie anbieten, da wir die Kapazitäten dafür nicht haben.
„Ich versuche den Studierenden immer zu sagen, dass man psychische Krankheiten als Pendant zu körperlichen Erkrankungen sehen kann, für die man sich nicht schämt.“
Universum: Ganz praktisch gesehen: Wie macht man denn einen Termin bei Ihnen?
Stefanie Simanowski: Also, entweder findet man einen unserer vielen Flyer. Da ist ein QR-Code darauf, den man abfotografieren kann. Dann landet man auf der Ilias Plattform. Oder man findet uns über die Homepage. Da gibt es auch den QR-Code, bzw. den Link zur Anmeldung. Bei Ilias meldet man sich an und kann dann unsere Kalender anklicken und schauen, wann es einen passenden freien Termin gibt. Weil Ilias ein wenig störrisch ist, kann man aber auch einfach eine E-Mail an die PBS schreiben.

Universum: Hat die Corona-Pandemie oder die aktuelle Weltlage beeinflusst, wie intensiv Ihr Angebot wahrgenommen wird oder haben sich die Ängste verändert, mit denen die Studierenden zu Ihnen kommen?
Stefanie Simanowski: Wir haben jetzt nur noch die Ausläufer von Corona mitbekommen. Als die Beratungsstelle angelaufen ist, hat das erste Anwesenheitssemester gerade begonnen, von daher haben wir nur einen Monat lang die Übergangszeit miterlebt. Zu dem Zeitpunkt waren die Beschwerden eher: ich habe keine Struktur mehr, ich benutze vermehrt Substanzen, ich prokrastiniere. Jetzt, wo das Semester angefangen hat, sagen viele, mir geht es viel besser, seit ich wieder diese Struktur habe und hingehen muss. Aber die Menschen, die soziale Ängste haben oder Prüfungsängste, die sind momentan ein bisschen mehr gebeutelt.
Universum: Dann wäre ich tatsächlich auch schon bei der letzten Frage: Machen sich Studierende meiner Generation noch Sorgen, dass es stigmatisiert werden könnte, Ihr Angebot wahrzunehmen? Wenn ja, was würden Sie diesen Studierenden dann sagen?
Stefanie Simanowski: Auch das variiert. Ich würde sagen, ungefähr 15% hatten schon Kontakt mit Psychologen und Psychotherapie. Für die ist das erst einmal nichts Neues und sie sind froh, hier so ein niederschwelliges Programm zu haben. Dann gibt es aber auch viele, die sehr aufgeregt sind, weil sie nie vorher bei einem Psychologen gewesen sind. Die Studierenden sind unsicher, aber im Verlauf des Gesprächs merken sie, dass es guttut und interessant ist, noch einmal einen anderen Blick auf die eigene Problematik zu bekommen. Es gibt auch viele, die sagen, dass sie das zu Hause nicht erzählen können, weil alles, was mit Psyche zu tun hat, belächelt und als schwach bezeichnet wird.
Ich versuche den Studierenden immer zu sagen, dass man psychische Krankheiten als Pendant zu körperlichen Erkrankungen sehen kann, für die man sich nicht schämt. Aber es für viele ein Stigma. Wir versuchen dazu beizutragen, dieses zu abzubauen.
Wir haben außerdem bewusst den Ort der PBS hier gewählt, fern von den Fachbereichen, damit es ein wenig anonymer ist. Hier ist auch das Prüfungsamt, man kann also aus allen möglichen Gründen dieses Gebäude betreten, aber weder wird man gesehen, noch ist klar, wo man hinmöchte.
Universum: Gibt es noch etwas, das Sie ergänzen wollen und Ihnen wichtig erscheint?
Stefanie Simanowski: Ich finde, das Angebot der PBS ist ein sehr wertvolles Angebot. Es zeigt, dass die Uni wirklich interessiert daran ist, dass die Studierenden weiter studieren können und ausgeglichen sind. Das ist unser Ziel.

Dr. Stefanie Simanowski
Hat in Gießen Psychologie studiert, promoviert und drei Jahre lang als akademische Rätin gearbeitet. Anschließend war sie als Therapeutin in der Psychiatrie des UKGM tätig. Momentan befindet sie sich in der tiefenpsychologischen Weiterbildung, arbeitet als Beraterin bei der PBS und betreut weitere Patient:innen außerhalb der JLU.
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