Journalistin Emily Ulbricht spricht über ihren Podcast „F*** your feelings“.

„I can’t be with someone, who’s weak. That’s what she said.“ Es ist der Wendepunkt in Evans Leben und der Beginn einer politischen Transformation: Die Trennung von seiner Freundin bringt ihn auf einen Weg hin zu einem neuen Selbstverständnis. Dieser Weg ist das Thema von Emily Ulbrichts Podcast „F*** your feelings“, erschienen im August 2018 bei Love+Radio.

Das Publikum weiß nicht, worum es geht, als der Podcast beginnt. In einem Interview spricht ein Mann zunächst stolz über seinen täglichen Fitness-Workout. Dieser Mann ist Evan, ein anfang-40-jähriger Künstler der Lower East Side in New York. Interviewed wird er von der jungen Studentin Emily Ulbricht, die nach ihrem Studium an der Columbia Journalism School heute als freie Journalistin in Berlin lebt. Bekannt ist sie besonders in Deutschland als Redakteurin der Storytelling-Podcasts „Therapieland“ und „Plus Eins“ im Deutschlandfunk Kultur. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Stimmen aus der Praxis“ berichtet sie nun JLU-Studenten von ihrer journalistischen Arbeit.

Ulbrichts Podcast „F*** your feelings“ zeigt Evans Wandel vom links-alternativen Künstler zum erzkonservativen Trump-Supporter. Dabei lieferte das Ende von Evans‘ Beziehung laut Ulbricht den Startschuss für seine politische Umorientierung. Er fühlte sich schwach und übertrug dies radikal auf sein politisches und soziales Selbstverständnis. Emotionen seien daher etwas für die Schwachen: „I think, when I have emotions, I feel like I’m lying to myself.“ Das Interessante an Ulbrichts Podcast liegt aber nicht nur im Wandel des sympathischen Künstlers zum politischen Hardliner. Vielmehr ist es sein eigener, durchaus reflektierter Umgang mit diesem Wandel selbst: Evan durchschaut seine Mechanismen, aber sie wirken trotzdem. Er beobachtet bewusst seinen Weg von den angeblich Schwachen zu den vermeintlich Starken und weiß um die inneren Konflikte bei der Annäherung an den Kult der White Supremacists – doch er macht weiter. Auch seine Albträume, in denen er sich selbst als Rassist und Extremist sieht, weist er zurück – er wisse ja, dass das nicht stimme. Ulbricht betont: Diese Vielschichtigkeit mache Evan als „ambigious character“ besonders interessant.

Beim Thema ihrer Interview-Führung erzählt Ulbricht von einer neuen Strategie, die sie bei einem Treffen mit Evan zum ersten Mal ausprobierte: „Man bleibt so lange da, bis man rausgeschmissen wird“, erzählt sie kichernd. Wie sie berichtet, hatte sie beim ersten Treffen mit Evan bereits nach zwei Stunden alle angedachten Infos, doch sie blieb – wegen ihres Vorsatzes. Und das hat sich gelohnt: Nach über fünf Stunden lockerte sich das Gespräch zunehmend auf und Evan begann wirklich zu erzählen. Wie sie berichtet, sagte sie selbst kaum etwas in dem Gespräch – Evan hatte fast immer die aktive Sprecherrolle. Und das hatte einen Grund, wie Ulbricht erklärt: Der geringe Sprechanteil des Journalisten vermittle dem Interviewten eine gefühlte Akzeptanz, da dieser nur sich selbst höre – und keine kritischen Reformulierungen. Dies gab Evan laut Ulbricht zunehmend Sicherheit in seinen Erzählungen und ebnete den Weg für offene und spannende Aussagen. Letztlich dauerte das Interview an diesem Tag über 6 Stunden. Es war aber nicht das einzige Treffen bis zum fertigen Beitrag: Weitere zehn Interviews mit circa 40 Stunden Rohmaterial sollten folgen. Daraus entstand letztlich der Podcast bei Love+Radio.

Einen weiteren Tipp gibt Ulbricht zum Stellen von Fragen in journalistischen Interviews: Man sollte nicht fragen: Wann hast du dich verliebt?, sondern: Wo warst du, als du gemerkt hast, dass du verliebt bist? oder Was hast du gerade gemacht, als der Anruf kam? „Dadurch entsteht ein Bild,“, erklärt Ulbricht: „beim Interviewten und in seinen Worten.“

Die stärksten Bilder in Evans Leben sieht Ulbricht in seiner Annäherung zu Trump: Evan fühle sich als Trump-Supporter laut eigener Aussage gleichsam als eine Art Underground Resistance. Das Interessante an dieser Ansicht bestehe laut der Autorin aber nicht darin, dass die Trump-Kampagne alles andere als im Untergrund verlief. Auch Evans Selbstvergleich mit den Geschwistern Scholl sei zwar extrem, aber nicht das Verwunderlichste. Vielmehr sei es der Umstand, dass Evans Gefühl, Teil einer Gegenbewegung im Untergrund zu sein, auch nach Trumps öffentlichem Wahlerfolg bestehen blieb.

Wie Ulbricht erzählt, prägte dieses Gefühl ganz konkret Evans Persönlichkeit: „Je länger Trump Präsident war, desto selbstbewusster wurde er.“ Darin inbegriffen war laut der Autorin Evans vermeintliche Distanzierung zunächst von seinen eigenen Emotionen, dann von Gefühlen im Allgemeinen: „Fuck your feelings“ lautete die stolze Aufschrift auf seinem Lieblings-T-Shirt – daher der Titel des Podcasts. Allerdings wirkte sich diese Distanzierung auch auf sein Verhältnis zu Ulbricht aus: „Evan hatte sich so weit entfernt, dass wir nicht mehr zusammenkamen“, erzählt sie. Zudem geriet er in den Einflussbereich rechter, medienkritischer Freundeskreise. Die Folge waren teils schwierige Situationen im Umgang mit der Veröffentlichung und sogar ein zeitweiliger Kontaktabbruch Evans zu Ulbricht. Wie diese erzählt, stimmte Evan der Veröffentlichung aber schließlich doch zu und betonte, dass er das Interview nie bereut habe.

Auch dieses Schwanken in seiner Einstellung ist sinnbildlich für Evans Persönlichkeit – und davon lebt der Podcast „F*** your feelings“. Wie Ulbricht erklärt, entspricht die Struktur nicht dem üblichen Ideal der Mainstream-Podcasts: Dort schwanke das Verhältnis des Hörers zum Protagonist idealerweise sinusförmig zwischen Sympathie und Antipathie. Durch das ständige Auf und Ab bliebe das Interesse am Weiterhören erhalten. In ihrem Podcast sei das anders: Ulbricht verwirft das Mainstream-Modell und beginnt mit einer stark sympathisierenden Darstellung ihres Protagonisten Evan. Dieser wird zunächst als kürzlich verlassener, im Grunde sehr gutmütiger Künstler vorgestellt. Was darauf folgt, ist ein Abdriften in die Antipathie: Durch seinen immer radikaleren Wandel nach rechts wird Evan dem Love+Radio-Hörer immer unsympathischer. Was dabei mitschwingt, ist der stetige Wunsch, Evan würde wieder zu dem sympathischen Idealbild zurückkehren, mit dem der Podcast begann. Die Kurve verläuft in Ulbrichts Podcast also nicht sinusförmig, sondern von einem Hoch kontinuierlich in ein Tief. „Die Frage, die sich der Hörer stellt, ist: Wann kommt der Moment, in dem ich Evan wieder mag?“, erklärt Ulbricht. Das erzeuge Spannung; das animiere zum Weiterhören.

Das Wichtigste aber sei die Idee hinter der Story, führt Ulbricht abschließend an. Die Geschichte müsse über sich hinausgehen. Eine bewusste Idee helfe klarzumachen, wo man eigentlich hin will. Diese zentrale Ebene als Autor zu kennen, aber nicht explizit zu benennen, erzeuge die professionelle Tiefe in einem journalistischen Beitrag.

Link zum Podcast: http://loveandradio.org/2018/08/fuck-your-feelings/

Adrian Mertes
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